Guten Tag!
Ich erlaube mir mal, die wichtigsten Punkte im Konflikt zwischen ST und dem DGB aufzulisten – nach meinem besten Wissen, aber ohne Gewähr
Strategie:Sign Teilhabe will mit Maximalforderungen das Bestmögliche aus dem Teilhabegesetz rausholen; sie wollen also hoch pokern. Der DGB dagegen zieht eine vorsichtigere Strategie vor, mit realistischeren Forderungen, denn Vogel befürchtet ansonsten, abgeblockt zu werden / nicht mehr ernst genommen zu werden. Welcher Weg der bessere ist, kann ich persönlich nicht sagen.
Dolmetschermangel:Einen sehr wichtigen Punkt hat Jan Eichler von ST ja in seinem jüngsten
Video angesprochen: die Dolmetschersituation. Was soll man mit einem monatlichen Dolmetscherbudget, wenn zu wenig Dolmetscher zur Verfügung stehen? D.h. der Staat müsste auch für eine flächendeckende Dolmetscherversorgung sorgen. Das wird im BMAS-Ausschuss zwar nicht thematisiert, sollte aber auch vom DGB unbedingt angegangen werden.
Amtssprache:Sign Teilhabe will die DGS als Amtssprache eingeführt haben (auch wegen der Signalwirkung an die Gesellschaft). Der DGB erhofft sich davon nur wenig bzw. verzichtet lieber darauf, weil sich der hohe (?) Aufwand im Verhältnis zum Output eher nicht lohnen würde. Der DGB erhofft sich mehr davon, die DGS etwa von der EU-Charta für Minderheitensprachen aufnehmen zu lassen.
Zusammenarbeit:Beide Seiten betonen ständig, dass sie offen für eine Zusammenarbeit sind. Aber öffentlich gibt es gleichzeitig mehr oder weniger einen Schlagabtausch zu beobachten; die jeweils andere Seite wird kritisiert. Außerdem versuchen die Kölner, ihre Position mit Zahlen und Stellungnahmen zu erklären. Was auch verständlich ist, aber dies hat ebenfalls eine populistische Wirkung – es wirkt wie der Versuch, die Gehörlosengemeinschaft auf ihre Seite zu ziehen. Vogel hat bei der Podiumsdiskussion nicht zu Unrecht gesagt, dass derartige Zahlen hohe Erwartungen bei den Gehörlosen wecken und für Enttäuschungen sorgen würden, sollte am Ende weitaus weniger rauskommen (der Ansicht bin ich selbst auch). Dennoch wird Vogel bzw. der DGB auch deshalb u.a. auf Facebook heftig kritisiert, teilweise unberechtigt. Daran ist ST nicht unbeteiligt. Ich für meinen Teil würde übrigens auch gerne erfahren, wie ST die 720-Euro-Forderung argumentativ untermauert, im Video wurde das nur vage angegangen.
Dass das Ganze nur wenig förderlich für uns Gehörlose werden kann, kann man sich ja denken. Übrigens zeigt sich aus meiner persönlichen Sicht die eine Partei weniger kompromissbereit als die andere. Dies wäre aber eine grundlegende Voraussetzung für gelungene Zusammenarbeit und letztlich Interessenvertretung. Denn genug Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien gibt es allemal, darauf sollten sie arbeiten.
Eine Anmerkung von mir zum Schluss:Einige Zahlen aus dem
Sign Teilhabe-Video zur Finanzierbarkeit sozialer Teilhabe scheinen mir aus der Luft gegriffen oder falsch interpretiert worden zu sein. Pyros hatte ja bereits eine andere Berechnung vorgewiesen. Außerdem behauptet Sign Teilhabe, 15,6 Milliarden Euro würden im institutsorientierten System stecken. Als Quelle nannten sie einen
kobinet-Artikel – dieser besagt aber, dass dieser Betrag die Summe der gesamten Eingliederungshilfe von 2013 ist. Ein Großteil dieser Eingliederungshilfe beinhaltet, wenn ich das richtig verstanden habe, aber auch individuelle Leistungen (z.B. Eingliederung ins Arbeitsleben, Hochschulhilfe, etc.). Hier müsste man nacharbeiten, ansonsten sieht das eher wie eine Milchmädchenrechnung aus.
@Pyros: In den BMAS-Ausschuss kann der DGB ohnehin nicht, weil es mit der DG einen übergeordneten Dachverband für die Hörbehinderten gibt. Von der DG ist Frau Renate Welter ja regelmäßig dabei. Ob sie die Gehörlosen ausreichend vertritt, ist aber eine andere Frage. Dafür müsste der DGB mit Nachdruck sorgen.
So viel dazu von mir. Wenn es in meinem Posting (Denk-)Fehler gibt, wäre ich für Hinweise dankbar

TJM