Ein Hallo in die Runde!
Endlich kann ich mich an die Diskussion richtig beteiligen und bin nicht nur Zaungast. Es ist nicht meine Ding, Gras über die Sache wachsen zu lassen. Und es hat mich schon tierisch gejuckt, dass soviel über meine angeblichen Worte im Zeitungsinterview beim Hamburger Abendblatt geschrieben wurde und ich mich nicht beteiligen konnte. Wie das? Wahrscheinlich ist es niemanden aufgefallen, aber mindestens mit Beginn eurer Beiträge Anfang März war es nicht möglich, sich als neuer Benutzer zu registrieren. Und so konnte ich nur zugucken.
Erst vor zwei Wochen konnte ich mich dann richtig anmelden und habe, wie schon Bessy bemerkt auch gleich zwei Login-Namen angenommen, damit für alle klar ersichtlich ist, in welcher Rolle ich spreche. Ich habe es nicht nötig, mich hinter irgendwelchen Pseudonamen zu verstecken.
Gerne hätte ich mich früher hier schon zu Wort gemeldet, aber ich bin leider auch mit vielen anderen wichtigen Dingen eingedeckt und Zeit ist bei wirklich ein knappes Gut. Ich will eber auch die Leser hier im GL-Cafe nicht verprellen und ihnen Antwort und Rede stehen. Mir ist auch bewußt, dass hier jedes Wort und jede Formnulierung von mir auf die Goldwaage gelegt wird, will mich also bemühen eindeutig und unmissverständlich auszudrücken.
Gut, die Zeit des Wartens ist vorbei und ich nehme jetzt Stellung zu den "Vorwürfen". Ich schreibe bewußt in Gänsefüßchen. Es gibt viele interessante Aspekte, die von euch genannt worden sind und die ich auch gut finde. Was mir bei allem aber auch aufgefallen ist: Die eigentliche Intention des Interviews oder Berichtes ist sehr stark in den Hintergrund getreten und viele haben sich
nur auf den Satz
„Es ist nämlich ein weit verbreiteter Irrtum, dass gehörlose Menschen lesen können“ konzentriert. Dabei wurden zwei Dinge völlig außer Acht gelassen: Der sich anschliessende Nebensatz
"Deren Sprachentwicklung sei oftmals von Anfang an gestört. So würden sich aus Problemen mit der Lautsprache auch Probleme mit der Schriftsprache ergeben. "Denn diese Schrift ist nicht Bestandteil ihrer Sprache und den Betroffenen damit oftmals fremd" geht völlig unter.
Zudem hat sich niemand von euch dafür interessiert, ob ich das denn auch wirklich so gesagt haben könnte. Kann niemand von euch sich vorstellen, wie ein Interview mit Reportern abläuft? Glaubt ihr alle, dass man von einem Reporter verlangen kann, dass er danach Worter oder Sätze zurück nimmt? Oft ist es wie ein Spiel: Man weiß nie, was am Ende heraus kommt. Man kann Glück haben, und es läuft gut, man kann aber auch Pech haben und es kommt ein dummer Artikel dabei heraus. Die Frage muss also lauten: Lohnt es sich, das Risiko einzugehen, dass über gehörlose Menschen und die Gebärdensprache berichtet wird oder ist der Einsatz zu hoch? Was will man erreichen?
Aus meiner Sicht möchte ich zwei Aspekte darlegen: Über gehörlose Menschen und die Gebärdensprache wird zu wenig berichtet, wir haben nur wenig interessante Berichte zu uns. Weiterhin hatte das Interview eigentlich eine ganz andere Intention als hier diskutiert: Mir war es wichtig zu zeigen, dass behinderte und im speziellen gehörlose Menschen selbst aktiv sind, eine Firma gegründet haben, auch ohne Subventionen erfolgreich und ein interessanter Arbeitgeber sein können. Das waren die zentralen Aussagen! Hintergrund war, dass ich schon oft darüber gelesen haben, wie sich gewöhnliche Arbeitsgeber brüsten, wie toll sie sind, weil sie behinderte Menschen einstellen. So besonders fand ich das nicht, daher habe ich an das Hamburger Abendblatt geschrieben und das Gebärdenwerk vorgestellt.
Es gab sehr viel positives Feedback und Zustimmung zu diesem Artikel. Auch haben wir viele Bewerbungen bekommen (von Gehörlosen und auch Hörenden!). Im Großen und Ganzen also alles positiv bis dann hier der erste ernst zu nehmende Hinweis von Hans Busch kam, ob der DGB noch ganz dicht sei? Das „andere“ gehörlosenfeindliche Forum zählt für mich nicht. Und auch der selbst ernannte Internetguru nicht (ich dachte immer, der Intenet-Hype vor 5 Jahren hat alle verschlungen?), welche meinte, durch seinen Leserbrief sei der Artikel im HHer Abendblatt wieder entfernt worden. Stimmt ja nicht, ist ja wieder da.
Nun zum Hauptthema, was alle Gemüter hier bewegt: Habe ich es so gesagt oder nicht? Falls ja, wie habe ich das gemeint? Ich weiß ziemlich genau, dass ich gesagt habe und es auch immer wieder sage: „Viele Gehörlose haben nicht nur erhebliche Schwierigkeiten mit der Lautsprache, sondern auch mit der Schriftsprache. Für sie ist die Gebärdensprache die Muttersprache und die Laut- und Schriftsprache eine Fremdsprache. Im Gegensatz zu Hörende haben nur wenige Gehörlose wirklich Chancen eine weitere Sprache genauso gut zu lernen (ich meine hier jetzt nicht andere Gebärdensprachen) und zu beherrschen wie ihre Muttersprache. Deshalb ist es für gehörlose Menschen sehr wichtig, dass die Kommunikation über die Gebärdensprache abläuft. Nur dann kann man wirklich von Chancengleichheit und später von Gleichberechtigung sprechen!“
Dazu stehe ich! Es ist nicht meine Erfindung und die dazugehörigen wissenschaftlichen Untersuchungen stammen nicht von mir und diese habe ich auch nicht gefälscht ;-) Aber soweit müssen wir auch gar nicht gehen. Überlegt doch einmal: Wieviel Prozent der gehörlosen (und auch schwerhörige) Menschen haben Abitur oder sind Akademiker? Und vergleicht das mal mit den Zahlen von Nicht-Behinderten! Woran liegt es, dass es so große Unterschiede gibt?
Lesen heißt nicht nur, Buchstaben erkennen und in der Lage zu sein, seinen Namen und ein paar Worte zu schreiben. Lesen heißt vielmehr, die Schrift im Alltag so zu gebrauchen, wie es im sozialen Kontext als selbstverständlich angesehen wird, d.h. den Sinn eines etwas längeren Textes zu verstehen oder zumindest schnell und mühelos genug zu verstehen, um einen praktischen Nutzen davon zu haben. Wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden ist, dann spricht man von
funktionalen Analphabetismus (mehr dazu in
http://de.wikipedia.org/wiki/Analphabetismus).
Wie ist das bei Gehörlosen ausgeprägt, die als Muttersprache in Gebärdensprache kommunizieren? Laut- und auch Schriftsprache sind für diese Menschen eher eine Fremdsprache. Ich vergesse nie diesen einen Gehörlosen, der auf der RehaCare 2004 an unserem Messestand von Gebärdenwerk stand und mich dumm fragte, was wir machen. Nach meine Erklärung hat er mich dumm angeguckt und gebärdet, er versteht Texte und kann Lesen. Kein Problem. Er hat sich dann doch den Film dazu angeguckt und nach drei Minuten mich gefragt, ob den der Film wirklich zu diesem Text nebendran dazu gehört. Ich habe das bejaht. Dann hat er den Kopf verwundert geschüttelt und gestaunt, wieviel Informationen im Film zu verstehen waren, die er aus dem Text nicht erkannt hat. Er war der Meinung, er würde den ganzen Tag verstehen. Hat er aber nicht. Und ist das ein Einzelfall? Ich denke nicht. Wieviele Gehörlose bspw. beteiligen sich hier an diesem Forum oder im Taubenschlag? Wo sind die vielen tausende Gehörlosen? Warum schreiben sie nicht, warum bekommt man in der Öffentlichkeit so wenig von ihnen mit?
Was ist also nun das Problem, wenn man das mit dem-nicht-Lesen-können nennt? Müssen wir uns hinter unserer Gebärdensprache verstecken, uns dafür schämen? NEIN! Wir können stolz darauf sein, dass wir diese unsere Sprache haben! Und müssen wir uns deshalb schämen, wenn wir zugeben, die Laut- und die damit verbundene Schriftsprache beherrschen wir nicht so gut? Wie kann man uns dazu zwingen, wie kleine dressierte Äffchen alles in einer uns fremden Sprache nach zu plappern? Ein Sprache, die wir nicht hören können, die sollen wir sprechen können? Wir werden das nie so wie Hörende können. Ist das schlimm? Zwingen wir umgekehrt Menschen mit Gipsarmen (nichts anderes sind Hörende für mich) dazu, unsere Gebärdensprache zu benutzen? Komisch, wir zwingen Hörende nicht dazu. Aber wir werden gezwungen, uns der 'Normalität' zu beugen und uns anzupassen, was Hörende 'normal' finden: Sprechen und schreiben. Verrückte Welt!
Mit der Anerkennung der Gebärdensprache in 2002 wurde uns das Recht zu erkannt, die Gebärdensprache zu nutzen. Uns wurde damit auch zuerkannt, so zu bleiben, wie wir sind: gehörlos! Damit müssen wir uns nicht auf den OP-Tisch legen. Damit müssen wir auch die Laut- und Schriftsprache nicht mehr zwingend beherrschen. Wer es kann, prima für ihn. Es ist wie Englisch oder Französisch können. Dafür bekommt man Anerkennung, Lob. Aber nicht Tadel, weil man es nicht kann.
Gut gefallen hat mir übrigens der Hinweis von Hartmut, dass machmal nur Übertreibungen erst wirklich helfen. Ich kann das bestätigen. Hörende Menschen verstehen die Problematik Gehörloser in der Regel erst dann, wenn wenn man starke Beispiele nennt und erklärt. Mit Wischiwaschi kommt man leider heutzutage nicht mehr weit. Wenn wir Politisch etwas erreichen wollen, müssen wir manchmal polarisieren. Dazu gehört auch, dass man Dinge beim Namen ennnt, wie sie sind. Nur weil ein paar Gehörlose richtig gut schreiben und lesen können, darf nicht die Mehrheit verschwiegen werden. Hier zeigt sich dann echte Solidarität: Die Starken und Guten setzen sich für die Schwachen ein, engagieren sich politisch! Und helfen damit allen!
So, das war es erst einmal für Heute!
Herzlich Grüße in die Runde & weitere anregende Diskussion?!
Ralph Raule